Wenn die Tabs aus allen Nähten platzen und das Starten des Browsers erstmal den Laptop zum Heißlaufen bringt, ist das ein klares Zeichen: Zeit für eine neue Ausgabe Outta Dem Tabs! Der kompakte Reisebericht aus dem Reggae-Internet.
Wobei Reggae diesmal nur eine Nebenrolle ergattern konnte. Stattdessen starten wir bei einem Hamburger Gyal mit viel Attitude, haben Aufenthalte bei einer Rap-Ikone sowie bei abstrakten Sounds aus Leipzig und besichtigen zwischendurch Sehenswürdigkeiten aus der Musikwelt.
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Ich bin sicher, dass viele around hier Haiyti auf ihrer Agenda haben. Immerhin hängt sie mit Trettmann in Studios und auf Bühnen. Wer sie nicht kennt, sollte das ändern. Denn die Hamburger Künstlerin gehört für mich zum Spannendsten, was derzeit im deutschsprachigen „Cloud Rap“ passiert (bescheuerter Name. Trotzdem kurz die Top 5 Genre-Artists, ohne besondere Reihenfolge: Trettmann, Haiyti, Yung Hurn, RIN, LGoony).
Das White Girl mit Luger ist seit geraumer Zeit überproduktiv. 2016 brachte sie 2 Mixtapes und eine EP raus. Im März nun wartet sie gleich mit zwei Releases auf: die White Girl mit Luger EP und das Follow mich nicht Mixtape. Dat gyal a hustling! Hier erzählt sie der Vice mehr zu den aktuellen Releases, die Juice hat derweil eine Zusammenfassung des Haiyti-Jahres 2016. Alternativ können Interessierte aber auch gleich zur Listening Session in ihr Wohnzimmer kommen.
Wer beim Gedanken an trapfluencede Beats und Autotune nicht gleich reflexartig den Tab wechseln will, sollte der Dame zumindest testweise sein Ohr leihen. Denn Haiyti kann schreiben, rappen und flowen. In ihren Songs ist sie facettenreich, ohne dabei aber wie ein Gemischtwarenladen daherzukommen. Mal macht sie Welle und Hits auf die Schnelle, mal erzählt sie vom Gothic Girl, das sein Umfeld verängstigt – nur um ein paar Songs weiter in der Diskografie ihre Ängste auf den Beat zu packen.
Doch egal ob als Corner Gal oder als Twen in der post-postmodern-urbanen Sinnenkrise: In erstaunlich vielen Fällen (gemessen an ihrem Output) schafft sie es, in ihren Songs ein glaubwürdiges Lebensgefühl einzufangen. Damit erzeugt sie eine dichte Atmosphäre und breite Projektionsfläche. Nihilismus par excellence. #Kontrastprogramm
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Nicht nur inspiriert von Atlanta, sondern longtime Resident der Stadt ist Makonnen. Mittlerweile allerdings hat es den, für seine exzentrische Musik zwischen Trap House und Shroomstrip bekannten, Artist nach Portland verschlagen. Dort lebt er nun, nach zwischenzeitlichem Coming Out, zwischen Penthouse und Farm und steckt mitten in der persönlichen und künstlerischen Selbstfindung. All das kann man in diesem ausführlichen Portrait/Interview bei Fader nachlesen. Inklusive Drama mit Drizzy/OVO, Rechtsstreits mit ehemaligen Managern und mehr. #lifeofanartist
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Wir bleiben noch einen Moment im Rap. Doch nehmen die Zeitmaschine und reisen way back. 20 Jahre zurück, um genau zu sein. Denn vor ein paar Tagen – am 25. März – feierte Life After Death seinen Zwanzigsten. Wem das nichts sagt: LAD ist Biggies aka Notorious B.I.G.’s zweites Soloalbum. Das erschien damals nur knapp zwei Wochen nachdem er tragischerweise ermordet wurde 1. Passend zu diesem traurigen Jubiläum hat Vibe einige der am Album beteiligten Produzenten für eine Oral History versammelt. Ein paar Ausschnitte:
DJ Premier zur Aufnahmesituation:
„It was just a regular studio situation. In hip-hop, you always got your crew there. Everybody’s smoking weed, drinking, talking sh*t. You always got girls in the room. Girls always want to be around rappers, especially in the 90s because we were really young, rock n’ roll stars in our culture and money was coming in. We didn’t have billions, but a couple hundred thousands was like being a millionaire back in the day. It was just like a frat party.“
DJ Clark Kent über Sky’s the Limit:
„Not everybody can discern Biggie’s voice, but if you listen to “Sky’s the Limit” well enough, you can hear him singing with 112. When it got mixed, I forgot to take his voice out. He sang the whole hook and the verses and everything, then we gave it to 112 for them to sing. In the process, the track gets laid first. The artist goes in, does his verses, puts a scratch hook in. 112 got the record, they sang the hook, and then the record went to mixing, which was the part where you make the song as beautiful as possible. In the mixing, you’re supposed to take out what you didn’t want. The song didn’t really have anything that we didn’t want except for that Biggie vocal on the scratch hook, but it kind of got stuffed in there by accident.“
Außerdem weiß Kent über das Verhältnis von Biggie & Jay-Z zu berichten und hat eine interessante Unterscheidung parat: „He still is the best rapper we ever heard. He understood that Jay Z was the best MC, but he also understood he was the best rapper.“
Allerdings fehlen in dem Text ein paar der prominenteren Protagonisten, die seinerzeit am Album mitwirkten. Etwa Puffy, Lil‘ Kim oder Havoc. Diese kamen jedoch in einer deutlich älteren Oral History zu Wort, die das XXL Mag bereits 2003 zusammengetragen hat.
Was heute vielleicht nicht mehr jedem bekannt ist: Biggie hat jamaikanische Wurzeln – seine Mutter stammte aus Trelawny, Jamaica. Seine Roots hat er immer wieder auch in seiner Musik gewürdigt; Snippets dessen hat LargeUp hier zusammengetragen. 1996 spielte er außerdem das legendäre Sting Festival (RIP) – und zwar, dank eines gebrochenen Beins, im Rollstuhl. Und auch Life After Death hat direkten Karibik-Bezug: Es wurde teilweise in Trinidad aufgenommen.
Die letzten Worte gebühren Stevie J: „Classics are around forever.“ #word
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„Es macht mehr Spaß, Fußball im Team zu spielen“, so lautet eine der (banaleren) Weisheiten, die Max Martin in seinem ersten Interview seit 16 Jahren verrät. Max Martin? Der Name sagt vermutlich den wenigsten etwas. Mir vor der Lektüre des Interviews, das Jan Gradvall für die schwedische Seite Di geführt hat, ebenfalls nicht. In Musikkreisen ist er allerdings bestens bekannt. Denn er ist, wie ich gelernt habe, einer der erfolgreichsten Songwriter und Produzenten aller Zeiten. In den letzten 20 Jahren haben es 58 seiner Songs in die Billboard Top 10 geschafft, 21 davon auf die #1.
Natürlich macht er Popmusik. Trotzdem hat der Schwede mit Metall-Hintergrund eine Menge Interessantes zu erzählen. Im Gespräch gibt er einen Einblick in seinen Arbeitsprozess, verrät, warum er auf Teamwork schwört, und öffnet sogar seine Songwriting-Toolbox einen kleinen Spalt. Lesenswert für alle aspirierenden Produzenten und Musik-Nerds, unabhängig vom bevorzugten Genre. Ein Teaser:
„I recently re-watched an old movie that I used to like when it came out. Now that I watched it over, I felt the movie’s tempo. It all felt a bit slow. They showed the whole trip to the airport. Today it’s more ’Boom!’ and you’re at the airport. The same thing has happened to pop music. There’s less downtime. Pop music follows the evolution of society in general. Everything moves faster. Intros have gotten shorter.“
#hitman
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Jahtari hat zuletzt gleich mehrere neue und Re-Releases rausgebracht. Gute Nachrichten für den geneigten Fan des non-konventionellen Sounds, für den das Label bekannt ist. Also der Reihe nach. Zunächst wäre da das Masters Of The Universe Tape (buchstäblich!) von Bo Marley. Die Beschreibung des Re-Issue spricht für sich:
„The patented Bo space-lyrics in German/Danish warp mode are again dealing with the big timeless themes of our age: rocking it on stage (Wir Setzt Den Trend), rolling along with the Bo mobil (Rollen Vorbei), the joys of driving a scooter (Mofa Fahren) and Robot Cars („with volt power – yeah!“).„
Dann gibt es eine Scheibe, ebenfalls eine Neuauflage, namens The Organ Sessions aus der Sound-Schmiede des GI. Harlev Organ Orchestra. Bei den sieben Tracks handelt es sich um rotzige(!) One-Take-Aufnahmen, die innerhalb eines Tages an einer alten Technics Orgel entstanden. Das Ganze muss, so man der Beschreibung glauben darf, auch ziemlich witzig anzusehen gewesen sein:
„Playing the organ turned out to be a three men job: Benjamin Lesak on the two-layer keyboard, Kristian Nordenthoft kneeling on the floor to operate the bass pedals by hand, while Jesper Kobberoe took care of the beats.„
Mein persönlicher Favorit ist allerdings die abgedrehte japano-dub-psychedelic-sphere-whatever LP Shinsekai vom WaqWaq Kollektiv. Dahinter verbergen sich Andrea Belfi, Shigeru Ishihara und Kiki Hitomi. Der Titel heißt übersetzt „neue Welt“. Genau dahin nimmt der Sound den Hörer mit. Die Platte kommt außerdem mit einem sehr aufwändig gezeichnetem, filigranem Cover daher, das man auch als A1 Print ordern kann. Sicher nicht jedermanns/fraus Geschmack – meiner schon. Dringende Anspielstation ist Oh It’s Good (will unbedingt mit ordentlich Bass gehört werden).
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Wer sich ernsthaft mit Musik beschäftigt, kommt an Discogs nicht vorbei. Die Seite ist einerseits der größte Vinyl-Marktplatz der Welt und andererseits die am besten gepflegte Musikdatenbank. Auf thump gibt es ein lesenswertes Feature samt Interview mit dem Gründer und einigen Mitarbeitern der Company aus Portland. Darin erfährt der geneigte Leser einiges über Historie und Zukunft der Firma. Man kann wohl sagen: In den frühen 2000er Jahren – also vor dem aktuellen Vinyl-Hype – hat Discogs einen großen Beitrag dazu geleistet, dass die Schallplatte am Leben blieb. Außerdem finden sich ein paar nette Anekdoten über die abseitigeren Releases unserer Welt in dem Artikel:
„Who’s the lead submitter?
Lewandowski: His name is Brent. His username is Diogenes the Fox. I forget how many submissions he’s done. 30,000, maybe? I was having a conversation with someone a while ago about our strangest and most obscure records. I think mine was this one called „Sounds of Steam“; it’s just recordings of steam locomotives from the 50s. So I look it up, and sure enough, it was submitted by Brent.„
#nerdism
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Weil man ja von irgendwas seinen Lebensunterhalt finanzieren muss, gibt es noch eine ganz andere Themenwelt, in der ich mich neben Reggae bewege. In diesem Zusammenhang habe ich diese Woche eine neue Publikation namens attentionecono.me gelauncht. Dort widme ich mich unserer modernen Aufmerksamkeitsökonomie. Alle, die hier mitlesen und sich auch für das Busyness hinter der Musik interessieren, könnte mein Text A Game Of Songs. The Music Streaming Challenge spannend sein. Darin schildere ich die Geschichte der digitalen Musik von Napster bis heute – ein fortwährendes Machtspiel zwischen Labels und immer neuen Tech-Firmen. #promo
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Dinge passieren
Ein neuer Abschnitt – ein Tribut an den großartigen Matt Levine. Camukinyi releasen neues Video zu N.O.S.W. MPM bringen das legendäre Deutschrapablum Unter Tage von RAG erstmals (legal) digital heraus. Protoje spricht im Interview über Blood Money und Kartel. Die Irie Ites ruft zum Remix Contest auf: es gilt, Rude Boy Talk von Illbilly Hitec ls. Kinetical einen eigenen Stempel aufzudrücken. Nils vom House Of Reggae aka Peter Schlacks fährt zum Baggersee (Sonnenschirm? Check!). Der späte Noel „Scully“ Simms im Studio mit den Jamaica Allstars im Studio, dokumentiert im Video. Es gibt auch dieses Jahr wieder ein Reggaeville Easter Special mit Gigs in München, Hamburg, Dortmund und Mannheim und Auftritten von Protoje, Mr. Vegas und Nattali Rize.
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Neuer Tab Count: 20 Tabs in 3 Fenstern #dun