Von Kingston nach Atlanta via Kreuzberg | Herb & Mango EP – Megaloh x Trettmann x Kitschkrieg (Review)

Trettmann und Megaloh sind zwei Whagwaan Favorites. Jetzt haben sie ihre gemeinsame EP Herb & Mango veröffentlicht, die zusammen mit dem Produzententeam Kitschkrieg entstand. In der Vergangenheit konnten wir uns schon des Öfteren davon überzeugen, dass beide Artists zusammen können. Man denke nur an Trettmanns vielleicht größte und (bis dato) letzte Reggae-Anthem Was Solls, auf der die beiden erstmals kollaborierten 1. Und natürlich war da Wer hat die Hitze, die erste Singleauskopplung zu Megalohs letztjährigem Überalbum Regenmacher (finde btw nicht nur ich).

Grund für Euphorie also, könnte man meinen. Doch ein kleines bis mittelschweres Aber drängte sich mir unwillkürlich auf, als das Release bei mir Aufschlug: Einzelne gute Features sind noch lange kein Garant dafür, dass auch eine ausgedehnte Co-Produktion gelingt. Denn plötzlich gilt es nicht mehr bloß, zwei oder drei Sechzehner aufeinander abzustimmen und einen Riddim zu picken, der beiden Künstlern gut zu Gesicht steht. Stattdessen will eine gemeinsame künstlerische Vision entwickelt werden, die über mehrere Tunes hinweg trägt. Im Idealfall entsteht ein Gesamtwerk, dem Menschen, die (wie ich!) über Musik quacksalbern, Attribute wie stimmig oder konsistent zuschreiben.

Was das anbelangt ist das Format der EP sogar einen Tick trickier als ein Album: Aufgrund ihrer Kürze ist der Spielraum für Fehltritte deutlich geringer. Ein Langspieler kann selbst dann ein Spitzenurteil erhalten, wenn er einen Tune beinhaltet, der nur dazu taugt, die Funktionsfähgkeit des Skip-Buttons zu prüfen 2. Bei einer EP jedoch ist solch ein Aussetzer kaum zu verzeihen. Vom ersten Beat bis zum finalen Fade-out muss hier alles überzeugen. Es ist also kein simples Projekt, das sich die beiden Vokalmatadore und das Kreuzberger Produzentenkollektiv hier vorgenommen haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Paarung Trettmann x Megaloh kein total natürlicher Fit ist. Zumindest bei mir warf die Vorstellung, beide für längere Zeit zusammen zu hören, Fragen auf. Denn die Styles beider Artists könnten unterschiedlicher kaum sein 3. Auf der einen Seite Trettmann mit seinem Dancehall-beeinflussten, melodischen Flow, auf der anderen Megaloh mit technisch ausgefeiltem Rap. Hier Autotune, dort Boom Bap. Was auf Songlänge ein interessanter Kontrast sein mag, hat das Potential in erhöhten Dosen anzustrengen. Trettmann Fans sind nicht zwingend Megaloh-Hörer und vice versa.

Herb & Mango zeugt davon, dass sich das Team dessen bewusst war. Angefangen von den Produktionen bis zum Songwriting unterstelle ich: Es ist kein Zufall, dass die Artists auf der EP so gut harmonieren wie nie zuvor. Nicht etwa, weil einer von beiden massiv seinen Style geswitcht hätte – zwar sind einzelne Parts von Megaloh etwas „cloudiger“, als man das bislang von ihm kannte, doch wer nun Autotunemassaker oder auf Adlibs reduzierten Rap aus seinem Munde erwartet/befürchtet, wird enttäuscht/kann beruhigt sein – sondern weil das Team ein paar gute Entscheidungen getroffen hat.

Das geht los bei den Produktionen, die den Stärken beider MCs Rechnung tragen. Zwar sind diese deutlich näher am Soundkorsett von Trettmanns Kitschkrieg EPs als an typischen Megaloh-Beats, doch fühlt sich Megas Rap nie deplatziert an. Auch in Punkto Songwriting sind die beiden die Extrameile gegangen. Gerade aus dem Rapkontext kennt man sie nur allzu gut: Kollabos, bei denen die Parts beider Artists kaum etwas miteinander zu tun haben. Mit etwas Glück gibt es noch ein abstraktes Überthema 4, aber das war’s dann auch. Über die Ursachen dafür kann ich nur spekulieren. Mein Topgrund: Heute ist gefühlt Normalzustand, dass Artists gemeinsame Tracks releasen, ohne je zusammen im Studio gewesen zu sein.

Nicht so Megaloh und Trettmann. Herb & Mango hat einen durchgängigen Vibe, egal wer gerade am Mic ist. Auf allen Songs sind die Parts klar zusammengehörig und interagieren teilweise sogar miteinander. Zum Beispiel sorgt Trettmann gleich im Titeltrack für eines der raffinierten Highlights der EP, wenn er dem – an der Oberfläche sehr harmlos daherkommenden – Track eine zutiefst politische Dimension verleiht. Die erschließt sich nur demjenigen, der genau hinhört 5. Nachdem Trettmann in seinem ersten Part zunächst ein paar Referenzen an Bob Marley loswird, droppt er einige Namen, die den Track in ein gänzlich neues Licht rücken:

Das ist für Turner, Garner, Sandra Bland, Tamir Rice, Michael Brown, Oury Jalloh und für Kunta Kinte

Hinter diesen Namen verbergen sich (reale & fiktive) Personen, die große Relevanz für die historische und gegenwärtige schwarze Bürgerrechtsbewegung haben. Etwa der 2014 im amerikanischen Ferguson von einem Polizisten erschossene Michael Brown. Oder der auf einem Spielplatz ebenfalls von einem Cop erschossene 12-jährige Tamir Rice (er trug eine Spielzeugpistole mit sich). Und Nat Turner, der 1831 den einzig erfolgreichen Aufstand von Sklaven in den USA anführte und als Inspiration für Quentin Tarantinos Django Unchained gilt. 6

Zurück zur Interaktion zwischen den Parts beider Emcees. Eben jener Nat Turner taucht nämlich später wieder auf, wenn Megaloh rappt:

Timmy Turner wird zu Nat [Anm. d. Autors: Turner] wenn er muss

Beim flüchtigen Hören können solche Kleinigkeiten leicht untergehen. Dem aufmerksamen Hörer jedoch dienen sie als Beleg dafür, dass sich hier über das Normalmaß hinaus Gedanken gemacht wurden. Der kleine Ausschnitt ist übrigens exemplarisch für ein Stilmittel, das sich durch die gesamte Platte zieht: Die Songs erschließen sich erst in Gänze, wenn man die Bezüge berücksichtigt, die sich hinter dem gerappten Wort auftun. Dann nämlich verwandelt sich Herb & Mango plötzlich von einem Tune, der ein paar Rap- & Dancehall-Klischees zwischen Bob Marley und Gunshot-Romantik bedient, in beißende Sozialkritik. In den übrigen Tunes geht es weniger ernsthaft zur Sache, das Prinzip jedoch kehrt wieder.

Im hochgradig verspielten Anorak – das wohl als Antithese zu Wer hat die Hitze verstanden werden darf – ist das Prinzip gleich zur Methode erhoben. In der Hook heißt es „kodiertes Vokabular“. Um eben jenes ist der Track aufgebaut. Eigentlich hatte ich vor, hier ein paar der Highlights zu benennen. Doch manchmal zahlt sich aus, einen Beitrag aufschieben zu müssen: Seit ein paar Tagen ist Davide Bortot, dem ein oder anderen sicher bekannt als ehemaliger Juice-Chefredakteur, fleißig dabei, die EP auf Genius zu annotieren. Zwar hatte ich bereits einige Punkte recherchiert, als ich darüber stieß, jedoch a) die Ergebnisse nicht formuliert und b) hat Davide noch einige weitere Highlights entdeckt. Insofern mache ich es mir einfach und verweise Euch auf die kommentierten Lyrics.

Aber keine Sorge: Es ist nicht so, dass Herb & Mango (die EP) nur Spaß macht, wenn man sie mit Lexikon (aka Smartphone) in der Hand hört. Auch ohne alle versteckten Referenzen zu dekodieren, ist es eine sehr hörbare Scheibe. Beleg: sie behauptet sich seit mittlerweile mehr als drei Wochen in meiner Rotation. Die Kombination aus zwei Emcees, die ihr Handwerk bestens verstehen, sowie den exquisiten Produktionen aus dem Hause Kitschkrieg, sorgt zumindest bei mir dafür, dass ich immer und immer wieder auf Play drücke. Von Langweile bis dato kein Spur.

Einen großen Beitrag dazu leistet der Sound. Auf Soundcloud ist die EP mit #Neo Dub getaggt. Ein äußerst passendes Label. Ohne zuweit auszuholen: Regulärer Trap wäre ohne Dub nicht denkbar. Auf Herb & Mango ist die 08/15 Trap-Ästehtik jedoch weitergedacht. Mit aus dem Dub bekannten Kniffen wie Reverbs oder Delays werden Dues an die Mutter aller modernen Clubmusik gepayed. Außerdem zeichnen sich alle Beats durch eine beinahe organisch wirkende Wärme aus. Deshalb sollten sie auch Hörern zusagen, die mit dem eher synthetisch daherkommenden Klang üblicher Cloud-Rap-Erzeugnisse wenig anfangen können. 7

Die Beats sind nicht die einzige Reminiszenz an jamaikanische Musik. Überall auf Herb & Mango sind Dancehall-Referenzen eingestreut. Das geht bei den Samples los. Schon im Intro hören wir (angeblich) Veronica Johnson über die Anfänge des Soundsystems ihres Mannes reden. Was wenig spektakulär wäre, würde es sich bei diesem nicht um die jamaikanische Produzentenlegende King Tubby handeln. Noch warte ich auf eine offizielle Bestätigung, ob es sich wirklich um Johnson handelt. Wenn ja, wäre das wohl ein kleine Sensation, falls meine Recherche nicht lügt. Denn Tubby’s Familie gilt als sehr verschlossen und interviewscheu. Über sein Leben sind daher, gemessen an seinem Status, nur wenige Details bekannt.

Weitere Dancehall-Samples finden sich auf Ghostface Killah – einer Homage an Ghostface und den Wu-Tang Clan – wo Tony Matterhorn im Intro auftaucht, sowie im großartigen Sowieso. Dort ist Deejay Fuzzy Jones gesamplet, den auch schon Kanye nutzte. In den Texten verstecken sich ebenfalls zig Dancehall-Bezüge. Die reichen von simplen Zitaten wie etwa im finalen Landgang bis zu ausgeklügelten Um-die-Ecke-Konstruktionen. Zum Beispiel in Sowieso. Da rappt Trettmann: Alles im Fluss, Orinoco Flow. Wie Bortot auf Genius korrekt rekonstruiert, ist der Orinoco einer der längsten Flüsse Südamerikas. Popkulturelle Relevanz erlangte er durch Enya’s Sail Away Welthit – hierzulande spätestens seit der Becks Werbung bekannt – der wiederum ’98 von Buccaneer gecovert wurde. Ostereier gut versteckt? Sowieso!

Herb & Mango ist, ihr habt es sicher bemerkt, eine Scheibe nach meinem Geschmack geworden. Davon bin ich im Vorfeld nicht zwingend ausgegangen. Doch das Team hat die richtige Balance gefunden. Um mich Megaloh’s Zen-Wortschatz aus Ghostface Killah zu bedienen: Es ist gelungen, die unterschiedlichen Teile zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen. Und so kommen Dancehall-Nerds, Cloudrap-Heads und Fans technischen Raps gleichermaßen auf ihre Kosten.

Auf den ersten Blick mag das nach einem wilden Mix klingen. Doch aktueller Rap mit der Geburtsstätte Atlanta und Reggae slash Dancehall haben de facto einiges gemein. Durchaus ein bisschen witzig, dass erst ein deutsches Gespann aus Deejay, Rapper und Producern auftauchen muss, um die verbindende Linie zwischen beiden Genres zu ziehen. Andererseits: In Zeiten einer globalen, queerbeet vernetzten Musikwelt auch nicht wirklich überraschend.

Erwerben kann man das gute Stück natürlich auch, bislang allerdings leider nur digital:

 

Update 08/03/2017: Inzwischen habe ich ein erstes Feedback zu dem Sample von Miss Tubby.

Auf eine genauere Info warte ich noch. Selbst bin ich noch nicht über sie gestoßen. Ich date hier up, sobald es Neuigkeiten gibt.

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