Chronixx mischt Dancehall auf

Ganz Reggae wartet auf Chronology. Die erste Hörprobe aus Chronixx kommendem Debütalbum allerdings 1, die letzte Woche im Internet einschlug, ist nicht etwa eine Roots-Nummer, sondern ein waschechter Dancehall Tune. Oder vielleicht sollte ich sagen: Ein Dancehall Tune, der sich gewaschen hat.

Vor einiger Zeit habe ich ein Interview mit Chronixx gesehen, das mir in Erinnerung geblieben ist. Selten habe ich einen so jung erfolgreich gewordenen Artist derart reflektiert über sich und seine Karriere reden hören. Es ist ein sehenswertes Dokument, das uns einen Einblick in die erstaunlich reife Gedankenwelt des Steam Ministahs gestattet 2. In eben jenem Interview antwortet Chronixx auf die Frage, wie er denn den aktuellen Status von Reggae Music beurteile:

„I’m in no position to talk about reggae“

Inzwischen hat er seine Position wohl verändert, zumindest was Dancehall anbelangt. Denn über den spricht Chronixx in seiner neuen Single Likes – und zwar Klartext. Er packt diverse Themen auf den Tisch, die nicht jedem schmecken dürften (wie er selbst im Intro anmerkt). Den Song als musikalisches Levitenlesen zu bezeichnen wäre sicher keine Übertreibung.  Um was also geht es?

Um Künstler – beziehungsweise „Personalities“ – die alles für den Internet-Fame tun, aber live nichts reißen. Um kurzlebigen Hype versus künstlerische Substanz mit hoher Halbwertszeit. Um das komplizierte Verhältnis zwischen jamaikanischen Dancehallstars, die außerhalb der Insel keinen Erfolg haben, und internationalen Künstlern, die sich Jamaika kommerziell zu Nutze machen. Selbst Rihanna bekommt vorm Hintergrund des aktuellen Dancehall Hypes eine kleine, gewiefte Line verpasst („Riri a work work work Dancehall“).

Doch die Nummer ist keine plumpe Provokation. Vielmehr kann sie als pointierte Kritik verstanden werden, der es nicht (nur) darum geht aufzufallen, sondern Fragen aufzuwerfen. Etwa nach Prioritäten. So singt Chronixx:

mi dweet fi di love / mi nah dweet fi di likes
(ich mach’s für die Liebe, nicht für die Likes)

Damit fragt er natürlich, welche Motive den Musiker von heute eigentlich leiten (sollten). Selbstverständlich mit dem Subtext, dass es viele Artists heute wohl eher mit den Likes halten. Wenn ich ihn da richtig interpretiere (pun intended).

Hier zeigt sich Chronixx’s Raffinesse. Denn natürlich sorgt Likes selbst – garantiert nicht zufällig – für Gesprächsstoff und etliche Likes. Was bekanntlich nicht verkehrt ist 3, wenn es ein Album zu promoten gilt. Insofern weiß Chronixx das Spiel durchaus zu spielen und die Mechanismen des modernen Musikmarkts zu bedienen. Ein Widerspruch zur Botschaft des Songs? Nö! Denn der stellt ja die Frage nach der Motivation des Künstlers, nicht nach seinem Marketing. Es ist eben ein Unterschied, ob man bewusst Likebait auswirft, oder ob ein mit Liebe gemachtes Produkt soviel Substanz hat, dass die Likes ein natürlicher Begleiteffekt sind.

4

Dass bei Chronixx letzteres der Fall ist, stellt eigentlich schon sein bisheriges Werk zu Genüge unter Beweis. Doch auch in Likes ist er bedacht, nicht auf einer negativen Note zu Enden. Deshalb gibt er nochmal Credits ina Dancehall fashion für das Who’s Who der Genregrößen. Big-ups gehen unter anderem raus an Sizzla, Capleton, Ninja, Yellowman, Burru und Buju Banton. Was den Musikfreund besonders freut: Auch für die Producer und Musiker gibt es Liebe, etwa für Steely & Cleevie, Xterminator, Sly & Robbie to only name a few.

Wenn wir gerade schon bei Produzenten sind: Den Riddim hat Chronixx selbst produziert. Er ist ein eingängiges, schnörkelloses Fundament für die Lyrics und hält sich zumeist dezent im Hintergrund – ohne dabei jedoch langweilig zu sein. Die richtige Wahl, weil die Nummer klar von den Vocals lebt. Dass die Produktion qualitativ hochwertig ist, bedarf in Anbetracht des Absenders eigentlich keine gesonderte Erwähnung und sei nur der Vollständigkeit halber vermerkt.

Jetzt gehet hin und liked das Teil!

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