Review: Megaloh – Regenmacher LP (2016)

Mal wieder ein bisschen Rap bei whagwaan. Letzte Woche hat Megaloh – spätestens seit seinem Part auf Was Solls von Trettmann auch Reggae-Deutschland ein Begriff – sein neues Album Regenmacher gedroptDas gute Stück hört auf den vielsagenden Namen Regenmacher und ist – spoiler altert! – ein ganz feines Stück deutschen Raps.

megaloh_regenmacher_2016

Für alle, die Megaloh jenseits seiner Trettmann-Features nicht auf der Agenda hatten, eine Blitzzusammenfassung seiner musikalischen Laufbahn bis heute: Mitte der 2000er-Jahre fällt der Name Megaloh in Rapdeutschland immer häufiger. Exklusive Songs auf der Juice-CD, Mixtapes und das erste Album Im Game sorgen für wachsende Beliebtheit. In kundigen Kreisen gilt er als eines der größten Talente der hiesigen Szene, allerdings primär ob seiner exquisiten Raptechnik. Thematisch nimmt man ihn zu jener Zeit maßgeblich mit Battlerap oder „Rap über Rap“ wahr. Der ist zwar auf sehr hohem Level, doch außerhalb eines auf Skills & Technik achtenden Szenekerns ist das für ein breiteres Publikum kaum nachvollziehbar. Kurzum: Der große Erfolg bleibt aus, hinzu gesellen sich wirtschaftliche Schwierigkeiten mit dem eigenen Label Level Eight und plötzlich stagniert die Karriere. Um seiner familiären Verantwortung gerecht zu werden, arbeitet er in ganz weltlichen Jobs, etwa als Lagerarbeiter. 1

Eine Weile ist Megaloh kaum mehr präsent auf der Bildfläche der deutschen Rap-Landschaft. Dann begegnet er Max Herre. Mega beginnt, Musik mit ihm und dessen Camp zu machen. Als Ergebnis dieser Kollaboration erscheint 2013 das hervorragende Endlich Unendlich Album, das immerhin auf Platz 9 in die Albumcharts einsteigt. Nicht der ganz große Durchbruch also, aber ein mehr als respektabler Erfolg. Megaloh ist wieder da!

Max Herre in der Vorbereitung des MTV Unplugged zur KAHEDI Radio Show

Diesmal mit merklich anderem Konzept, das den Einfluss von Herre erahnen lässt. Der ist damals mit dem Kahedi Club unterwegs, einer Produzentengruppe, die für extrem musikalische Produktionen steht. Diese Wertigkeit des Sounds zeichnet Endlich Unendlich ebenfalls aus. Doch die Entwicklung Megalohs macht sich noch auf anderer Ebene bemerkbar: Theamtisch hat er sich deutlich geöffnet. Noch immer ist er ein technisch exzellenter Rapper, doch nutzt er die Technik nun nicht länger nur, um Whack-MCEEs zu rasieren, sondern beispielsweise auch, um auf einem Track wie Loser über Selbstzweifel und den alltäglichen Struggle des kommerziell nicht erfolgreichen Künstlers zu sprechen.

Regenmacher nun ist die konsequente Fortführung dieses Weges. Schon beim ersten Track, dem Titelsong, wird klar, wo es lang geht:

Sie fragen mich: ‚Kann ich inzwischen von der Mucke leben?‘

Könnt mir noch immer um vier Uhr morgens im Bus begegnen 

Sie fragen mich ob das Bild das ich Ihnen gerad mal zu schwarz ist

abgeturnt von den Sparauflagen wie Varoufakis

Mit jedem neuen Tag kann ich es mir nur selbst beweisen

Streben nach Glück, ich jage, werd‘ nur vom Warten müde 

Morgens im Lager, tagsüber Studio und abends Bühne

ich mach mein‘ Job, mach keine Pausen, ich mach die Dichtung,

arbeite Schicht, üb‘ mich im Verzicht, denn ich hab Verpflichtung‘

… 

In Zeiten der Dürre kann ich nicht mehr warten auf Regen

Das alles passiert über einem gewaltigen Beat. Afro-Vibe trifft auf Boombap, könnte man ihn (verkürzt) zusammenfassen. Highlight der Produktion sind sicherlich die Bläser. Diese wurden – natürlich! – live eingespielt, u.a. von Ben Abarbanel-Wolff. Der hat als Saxophonist erst kürzlich beim Projekt Pat Thomas & Kwashibu Area Band der gleichnamigen Afrosound-Legende mitgewirkt. Will heißen: Megaloh hat sich für die Umsetzung seines Albums mit extrem versierten Musikern umgeben 2 – und das merkt man!

So sind sowohl die besagten Bläser und als auch die Afrobeat-Elemente wiederkehrende Merkmale der Produktionen, die durch die Bank organisch und musikalisch daherkommen. Unter Federführung von Producer Ghanaian Stallion ist ein Album mit klar erkennbarer Handschrift entstanden. Diese bedient sich neben afrikanischen Motiven natürlich auch bei Soul, Jazz, Funk und gelegentlich auch Reggae. All diese Elemente sind zu einem frischen, druckvollen Sound verwoben, dem ich auch kurz nach Release schon guten Gewissens eine hohe Lebensdauer attestiere. Das Album wird man auch in zwei Jahren noch gerne auflegen.

Unter den 14 Tracks, die das eigentliche Album ausmachen 3, befindet sich kein einziger Ausfall. Im Gegenteil: Mindestens die Hälfte der Tracks sind richtig stark.

Auf den Opener Regenmacher folgt Zug, ein souliges Stück mit – Überraschung – sehr eingängiger Bläsersektion und einem Megaloh, der sehr relaxte, bis an Gesang reichende Flows präsentiert. Track #3, Zapp Brannigan, ist dann etwas für die Rapfans – Megaloh packt Skills und Punchlines aus. Und das macht er immer noch besser als die allermeisten MCEEs des Landes. Da ist es nur stimmig, dass die Hook aus einem Sample des absoluten Deutschrapklassikers Reimemonster von Afrob besteht. Dazu ein moderner, verspielter Beat, der sicher auch im Club eine gute Figur macht. Das Ding brennt!

Heiß geht es auch direkt weiter. Nämlich mit einem Song, den Reggae-Deutschland schon mitbekommen hat. Die Rede ist natürlich von Wer hat die Hitze featuring Trettmann. Das Album startet also mit ein paar Tunes straight Feuer für uns.

Ernte Dank mit MoTrip und Maxim schlägt dann ruhigere, nachdenklichere Töne an. Es ist für meine Begriffe die schwächste Nummer des Albums. Ein Umstand, der aber vielmehr für die immense Qualität des Albums, als gegen den Song spricht. Der ist nämlich immer noch weit davon entfernt, meinen Finger zum Skip-Button schnellen zu lassen. Allerdings ist die Hook für meine Begriffe etwas zu cheesy geraten. Macht ein bisschen den Eindruck, als sei das die Nummer, die fürs Radio-Airplay sorgen soll. Liebe deutsche Radio-Selektors: Pickt lieber eines der anderen erlesenen Musikstücke des Albums!

Zum Beispiel direkt den nächsten Track, der wieder mit nachdrücklicher Hörempfehlungen daherkommt: Was ihr Seht. Hier erzählt Mega seine eigene Geschichte, die wie skizziert nicht immer gerade verlief, ohne dabei jedoch in Pathos zu verfallen. Bei den geschätzten Kollegen von AllGood steht zu Lesen, was er selbst über den Song sagt:

„Ich wollte hier noch mal meine Geschichte erzählen. Es gab einfach Dinge, die noch nicht gesagt wurden. Der Beat hat in mir ein Nostalgie-Gefühl ausgelöst – da hatte ich einfach Bock zu reminiscen. Der Song ist in der ersten Session mit den Bläsern entstanden. Das war dann auch der erste Song, bei dem ich gemerkt habe, wie geil dieses Organische kommt. Das Sample hat das schon vorgegeben – aber als es dann nachgespielt wurde und die Bläser dazu kamen, hat es alles noch viel runder und stimmiger gemacht. Das hat mich krass darin bestärkt, dass wir genau das Richtige machen. Die Nummer bedeutet mir viel, weil ich zum einen meinem technischen Anspruch gerecht werde, es aber zum anderen auch schaffe, die Geschichte zu erzählen.“

Nuff said.

Auf den nächsten beiden Tracks wird es dann experimenteller.

Zunächst das minimalistische Rapbrett Er ist/Voodoo Interlude. Für mich einer der hidden champions des Albums. Der Beat alleine macht schon richtig Spaß mit seinen rohen (Steal?)drums, simpler aber kraftvoller Bassline und einem fast schon folkig anmutenden Sample im Loop. Dazu gesellt sich dann ein bestens aufgelegter Megaloh, der mit druckvoller Delivery und fast schon irrsinnigen Flows dafür sorgt, dass die Nummer die Wertung amtliches Brett™ verdient.

Das folgende Wohin featuring Musa setzt sich mit dem Schicksal eines Fliehenden auseinander. Mit einer futuristischen Produktion im Rücken erzählen die zwei MCEEs die Geschichte ihres Protagonisten, der aus seiner Heimat fliehen musste und nun illegal und unerwünscht in einem neuen Land ist. Das funktioniert deshalb gut, weil beide in klaren Bildern sprechen, die hierzulande nachvollziehbar sind und Wirkung hinterlassen. So machen sie die menschlichen Dramen greifbar, die sich hinter einem Wortungetüm wie Flüchtlingskrise de facto verbergen:

Ich hatte ein kleines Haus, es war nicht sehr schön, doch es war meins

Sie haben vorbeigeschaut, unser Heim geklaut und jetzt pass ich   

nirgendwo mehr rein 

Das verstehen Menschen von Nigeria bis Schwaben.

Himmel berühren im Anschluss ist dann eine beschwingte, soulige Nummer. Feine Bläser, sehr gut eingebundene Background Sängerinnen und die freshen, variantenreichen Flows unseres Interpreten besorgen einen treibenden Groove. Vielleicht die tanzbarste Nummer des Albums.

Joy Denalane 326-72dpi

Dann folgt mit dem deepen Schlechter Schlaf – mit der großen Frau des deutschen Souls, Joy Denalane – nochmal so ein Lieblingslied auf den zweiten Blick. Es ist ein Track, der vielleicht exemplarisch für den selbstständigen, künstlerisch reifen Ansatz steht, mit dem Megaloh heute seine Musik macht. In seinen Lyrics erzählt er – nicht ungewöhnlich für das Genre – eine Straßengeschichte von Drogenhandel, Misstrauen und Gefängnis. Doch geht er das Thema gänzlich anders an, als gewöhnliche Songs mit gleichem Gegenstand. Geschickt verwebt Megaloh die konkrete Ebene seiner Erzählung immer wieder mit Abstraktionen, die auf den größeren Kontext verweisen, wegen dem es überhaupt soweit kommt, dass aus dem Jungen ein Gangster wird. Oder er zeichnet Parallelen zum Waffenhandel, einem nicht unähnlichen, im Gegensatz zum Drogenverkauf jedoch gesellschaftlich etabliertem Broterwerb. All das gelingt ihm, ohne dabei ins Pathetische oder Oberflächliche abzurutschen – seinem exzellenten Songwriting sei Dank. Denn es ist alles andere als leicht, komplexe Sachverhalte in gute Songs zu packen. Eine bemerkenswerte Line vor diesem Hintergrund ist für mich zum Beispiel:

Ein System, das auf der Schwelle zum Verfall ist

Wenn Du für nichts stehst, fällst Du für alles

Auch Joy’s Rolle in dem Song beschränkt sich – im Rap andernorts durchaus üblich – nicht auf das Trällern der Hook oder einer kurze Bridge, in der sie ihrem männlichen Konterpart huldigt. Im Gegenteil. Ihr Part eröffnet uns die Perspektive der Frau an der Seite des Gangsters. Natürlich sorgt die sich jeden Tag und bangt um die unversehrte Heimkehr ihres Mannes. Jedoch weiß sie gleichzeitig auch, dass es kaum eine Alternative gibt – sonst bricht das Kartenhaus zusammen.

Ich bete jeden Tag, wenn Du zur Tür rausgehst

dass wir Dich abends wiedersehen

Denn unser Leben ist hart, du brauchst nicht drüber reden 

Wir haben zu früh zu viel gesehen

Das gibt der Geschichte des Songs eine weitere Ebene, mit der sich der ein oder andere Hörer vielleicht noch nie auseinandergesetzt hat. Im Bestfall zeigt Megaloh ihnen so die menschlichen Schicksale des Straßenlebens und öffnet so neue Perspektiven. Was bei The Wire blendend funktioniert hat, geht auch hier auf.  Es ist diese reflektierte aber nie plump oder mit Zeigefinger daherkommende Haltung, die Megaloh für meine Begriffe zu einem der – wenn nicht aktuell sogar dem –  besten Lyricist im deutschen Rap-Game macht.

Megaloh

Dann folgt mit Oyoyo die afrobeatigste Produktion des Album. Für die hat sich Megaloh gleich zwei Gäste auf den Song geholt: Musa und niemand geringeren als Patrice. Beide steuern gute Parts bei; Patrice’s Gesang grenzt außerdem phasenweise fast schon an Rap. Eingängig. Natürlich darf auch ein Feature mit Freund Max Herre nicht fehlen. Das kommt dann auf dem folgenden Alles anders zustande. Ein persönliches Stück über Lebenswege, unvorhersehbare Abzweigungen und Veränderung. Kein offensichtlicher Banger, sondern akustischer Rotwein: Wird mit zunehmender Reife besser.

Auf Graulila hat sich Mega dann Tua ins Haus geholt. Der ist nicht nur einer der Rapper bei den Orsons, sondern für meine Begriffe auch einer der spannendsten Produzenten unseres Landes. Wer ihn kennt, der weiß dass Tua schon länger in abstrakteren Gefilden zuhause ist, die man heute wohl als Future, Cloud Rap oder Post-Trap bezeichnen würde. Diese Einflüsse sind bei Graulila ebenfalls vorhanden – sie schlagen sich auch in Megalohs Stotterflows nieder – aber behutsam in den Vibe des Albums integriert.

Mit Geradeaus findet dann das reguläre Album sein Ende. Jan Delay steuert die Hook bei und die Jungs aus der Bläsersektion legen die Grundlage für ein ziemlich feines, tanzbares Instrumental. Garniert ist das mit einigen sphärischen Klängen, die schon an Dub erinnern. Zum Abschluss des eigentlichen Albumkerns nochmal ein echter Höhepunkt, der sicherlich auf einigen Rap-Playlists der kommenden Monate auftauchen wird.

Weil die meisten Albumversionen noch fünf weitere Bonus-Tracks beinhalten, seien zwei davon auch noch kurz erwähnt. Zum einen Blaue Aurora, ein amtlicher weed tune mit hypnotischem Sample und sehr feinen Rapparts und zum anderen Exodus mit Gentleman, ASD & Max Herre.

Was bleibt? Mit Regenmacher legt Megaloh sein Opus Magnum vor. Zwar haben wir erst März, aber die Platte ist schon jetzt ein ganz heißer Anwärter auf den Titel Deutschrap-Album des Jahres. Megaloh ist ein Rapper mit enormen Skills, der wirklich etwas zu erzählen hat. Das alleine wäre bereits bemerkenswert. Doch bei Regenmacher kommt erschwerend hinzu, dass er auch noch musikalisch weiß, was er will. Dank der Zusammenarbeit mit dem Camp rund um Max Herre, hat das Album eine prägnante Soundästhetik, die gekonnt und liebevoll umgesetzt wurde. Das ergibt in Summe ein Album, das garantiert mehr als ein Mal den Weg auf den Plattenspieler bzw. in die Playlist finden wird. Außerdem wird es ob dieser Qualität über eine ordentliche Halbwertszeit verfügen. Für Rapfans ein Pflichtkauf, alle anderen sollten zumindest mal reingehört haben!

 

 

Kaufen kann man das Album natürlich auch, z.B. hier: 

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