Liebe Leute,
Stop, Start, Continue scheint in Punkto Stil und den Inhalten teilweise eher am Rande unseres Magazins zu liegen. Dennoch sind viele der Episoden, von denen ich erzähle, nah an der Musik, für die unsere Herzen höher schlagen. Ich habe bereits in Ausgabe #1 gesagt, dass der Reggae-Pfad manchmal etwas verlassen werden wird. Mit der Pistole auf die Brust gesetzt könnte ich, wenn ich müsste, eine Reggaesode nach der anderen schreiben. Muss ich aber nicht.
Diese Ausgabe der Kolumne ist eine Einladung an euch, einem aufstrebenden Künstler Gesellschaft zu leisten. Bei Dingen, bei denen wir das Ziel, nicht jedoch den Weg kennen, wird es unter Umständen knifflig. Man muss wissen wann es Zeit ist, es real zu keepen und wann man es ein wenig zu faken hat. In diesem Fall ist es Zeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen und die Dinge bei ihrem Namen zu nennen. 1
Vielleicht habt Ihr schon einmal von der Geschichte “Oh The Places You’ll Go” von Dr. Seuss gehört. Ich persönlich wurde erst sehr spät darauf aufmerksam, nämlich als ein Freund mir eine ziemlich geile Burning Man Inszenierung von dem Text zeigte. So schön diese Version auch ist, das Original als Kinderbuch hat eine gewisse Magie für sich.
Der Grund warum ich die Geschichte anspreche ist, weil ich mich sehr oft an Stellen des Buchs orientieren kann. Wo bin ich grade, was passiert um mich herum und wie geht es weiter. Es gibt viele verschiedene Orte und Zustände von denen Seuss spricht. Ich fühlte mich, als ob ich wieder einmal an diesem Ort angekommen war:
“You’ll come down from the Lurch
with an unpleasant bump
And chances are then
that you’ll be in a Slump
When you’re in a Slump,
you’re not in for much fun.
Un-slumping yourself
is not easily done.” 2
Ich hatte eine düstere Zeit in den vergangenen Tagen und Wochen. Ich kann es gar nicht oft genug sagen. Irland ist ein Traum von einem Land, wenn die Sonne scheint. Nur war das leider in den letzten Monaten eher selten für mehr als wenige Stunden der Fall. Im Grunde regnete es die ganze Zeit durch. Es regnete von oben, es regnete von der Seite, manchmal regnete es sogar von unten.
Zusätzlich hatte ich auf der Arbeit einen Tiefpunkt erreicht, den Ihr euch in etwa so vorstellen könnt, wie in diesem Clip, in dem Ryan Reynolds ähnlich auf der Stelle zu treten scheint: 3
Nur um das ganze in die richtige Perspektive zu stecken: Die Arbeit ist nicht wirklich die Ursache. Das Problem ist, dass ich mich fühle, als ob ich nicht vorwärts komme.
Wenn ich die letzten 18 Monate Revue passieren lasse, dann ist es so, dass ich wie eine Flipper-Kugel zwischen zwei Extremen hin und her schieße. Ich probiere viel und gehe mit einer offenen attitude an die Sachen heran. Dann kommen jedoch unweigerlich Dinge zu Tage, von denen ich sagen kann: “Danke, aber nein Danke!” Doch innerhalb dieser vielen wertvollen, aber nicht erstrebenswerten Umstände, gibt es dann immer wieder auch die “OH MEIN GOTT GENAU DAS WILL ICH”-Momente.
Und hier kommen wir zur Storyline, von der ich gerne erzählen will. Ich schreibe diesen Artikel für alle da draußen, die an einem ähnlichen Ort im Leben sind. Ihr spürt euer Potenzial und habt dieses Gefühl. Das Gefühl, Ihr könntet die Welt mit großartigem Talent, eurer Energie und am wichtigsten mit Good Vibrations füllen. Es scheint alles so nah… und doch so fern. Wenn das Wörtchen ‚wenn‘ nicht wäre! Was aber, wenn das Wörtchen wenn wirklich nicht wäre? Hier möchte ich mich gerne der Worte von Michelangelo bedienen:
Die größere Gefahr besteht nicht darin, dass wir uns zu hohe Ziele setzen und sie nicht erreichen, sondern darin, dass wir uns zu niedrige Ziele setzen und sie erreichen.
Ich bin nicht hier um Phrasen zu dreschen aber der Satz prallt so hart mit Spatzen und Tauben in Händen auf Dächern zusammen, dass ich dachte, ich spreche es wenigstens mal an.
Die wenigsten von Euch wissen, dass ich mich vor nicht allzu langer Zeit nach Norwegen aufgemacht hatte, um dort die Leute zu finden, die mit mir zusammen den Sound erschaffen, von dem ich oft träume. Wortwörtlich: Ich träume wirklich von einem gewissen Sound. In Oslo angekommen beschloss ich eines Abends, mir ein Konzert anzusehen. Ich war neu in der Stadt und wollte auf diesem Weg gleichgesinnte Musiker treffen. Die angekündigte Band kannte ich nicht, aber ihre Lieder hatte ich mir zumindest kurz mal angehört. Positiv angetan kaufte ich mir das Ticket und ging los.
Ehrlich gesagt hat mich schon der Name damals hart geflasht. Die Band nennt sich Judah and the Lion. Viele werden sich ob des Namens vielleicht denken, das seien die härtesten Reggae Heads. In Wirklichkeit macht die Gruppe jedoch eine Mischung aus amerikanischen Folklore Genres. Der Frontmann heißt Judah Akers, daher der Bandname.
Jedenfalls stehe ich dann abends in der Location im Publikum, fünf Leute neben mir, drei hinter mir, zwei vor mir. Leerer Laden also. Der erste Songwriter kommt auf die Bühne und spielt sein Set. Nicht schlecht aber vom Energiegehalt eher wie eingeschlafene Füße. Knapp 40 Minuten später erscheinen zwei Musiker auf der Bühne, die auf alle Fälle die Ausstrahlung von Semi-Professionalität hatten. Leider fanden die Jungs sich so hart geil – mit einem Portfolio das so hart ungeil war – dass ich echt abgeturnt war. Hier will ich kurz etwas ausholen.
Rational finde ich immer wieder Gründe warum eine Karriere als Musiker unrealistisch oder gar unmöglich ist. Erstens, machen wir uns nichts vor: Wie wahrscheinlich ist es schon, erfolgreich als Artist durchzustarten?! Zweitens braucht man, selbst wenn man ein Künstler sein will, auch noch die passende Musik, die erschaffen werden will. Ich persönlich habe da eher den Grundsatz, keine Musik zu veröffentlichen, bevor schlechte Musik dabei raus kommt. Witziger Weise hatte ich eben mit Thomas ein Gespräch, nach dem ich das unter Umständen etwas revidieren muss. Wer nur perfekten Output erzeugen möchte, publiziert in vielen Fällen nie.
Egal, im Laden stehen also diese zwei Möchtegerne-Dudes auf der Bühne. Ich habe das Gefühl, dass sich meine Ohren am liebsten selbst amputieren oder gleich ihren Dienst quittieren würden. Außerdem waren sie nicht nur für meine Begriffe schlecht. Der Rest des riesigen Publikums sah das am Applaus gemessen scheinbar ähnlich. Ich weiß nicht ob es euch auch manchmal so geht, aber es gibt Künstler, die einen so beschissenen Vibe haben, dass man gar nicht anders kann: Man muss sie einfach kacke finden.
So hatte ich zu diesem Zeitpunkt beschlossen, dass es wirklich keinen Sinn macht, mir mein Leben so schwer zu machen. Was bringt es, auf die Bühnen dieser Welt zu kommen, wenn am Ende der Mehrwert für den Planeten irgendwo im Bereich von Null Prozent liegt?! Ich dachte an Musik, die wirklich unter dem Stern von “higher consciousness, one love und I&I” steht. Der Sound dieses Duos hatte nicht einmal annähernd Bezug zu dieser Vision.
Ich gebe zu, ich bin schon oft einfach nach Hause gegangen, wenn Konzerte schlecht waren. Und auch diesmal überlegte ich ernsthaft, zu gehen. Was ich nicht wusste: ich stand einen Großteil der Zeit neben Judah Akers. Schon schade, wenn man Bands und deren Gesichter nicht kennt. Weil der Laden so leer war, hätte ich auch locker mit Ihm sprechen können, aber bei meiner Laune war es vielleicht auch nicht verkehrt so. Irgendwann war die Folter dann endlich zu Ende und ich gespannt auf Judah and the Lion. Nach zwei Nieten war ich schon vorbereitet auf “Strike Number Three”.
Der Sound war bereits gecheckt, weshalb es direkt losgehen konnte. Umso härter haben mir die Jungs das sprichwörtliche Brett in die Fresse verpasst. Ein Bruchteil einer Sekunde reichte aus, um meine Frage “Was der ganze Driss denn eigentlich soll?” in Luft aufzulösen. Wir reden hier von einem Unterschied wie Tag und Nacht. Die Bühnenpräsenz, der Sound, das komplette Paket. Liebe und Passion!
Ich möchte hier noch einmal kurz unterstreichen, dass es nicht um die Band oder ihren Sound geht. Es geht nicht um die Geschmäcker, sondern um das, was dahinter steht. Wenn Menschen Musik gut finden, ist es ganz oft mehr als nur ein Geschmack oder die Präferenz für Arrangement von Wort und Ton. Ich bin fest davon überzeugt, dass es um Resonanz geht. Die Musiker machen Musik mit einer Intention. Ob ihnen das bewusst ist oder nicht, spielt keine Rolle, zumindest nicht für uns in diesem Moment.
Für mich war dieses Ereignis deshalb so wichtig, weil mir die Jungs von Judah and the Lion zwei Dinge klar gemacht haben. Es ging ihnen darum, Musik von Herzen zu machen und die Menschen damit zu erreichen. Außerdem stand der Spaß und die Liebe für die Musik so klar im Raum, dass meine Zweifel im Millisekundenbereich verflogen. Ich bin also mit mehr als nur der Musik in Übereinstimmung gekommen. Fat Freddys Drop hatten Live einen ähnlich explosiven Effekt auf mich, nur dass mir damals der schlechte Support Act beim Konzert erspart blieb.
Die Musik der Vorgruppe(n) war vielleicht von Wort und Ton ganz nett, aber das gewisse Etwas blieb aus. Ich frage mich schon seit langer Zeit, was den Unterschied zwischen einem mittelmäßig/guten Künstler und einem außergewöhnlichen Künstler ausmacht. Die Antwort wird vermutlich irgendwo an diesem Ort zu finden sein.
Und was ist die Lektion meines Abends im Osloer Club? Wenn es vieler negativer Erfahrungen bedarf, um dadurch die Perlen aufzudecken, die den Weg in Richtung Zion 4 weisen, ist das an und für sich etwas sehr positives. Leider bedarf es eines gewissen Abstands und einer Losgelöstheit, um den Wert daran erkennen zu können.
Genau dieser Abstand fehlte mir in den letzten Wochen, doch wie so oft ist auf Zufälle verlass 5.
Der Weg ins Ungewisse ist eben einfach schwer. Der Held oder die Heldin müssen ihre Lektionen lernen und am Ende ihre Prüfung bestehen. Unvermeidlich führt dies sowohl durch Täler als auch Wüsten. Vielleicht liegen Enttäuschungen auf dem Weg oder der Verlust des gesamten Hab und Guts in dem Prozess. Und trotzdem oder gerade deswegen werden Dinge erreicht die die kühnsten Vorstellungen übersteigen. Das machen uns alle Pioniere deutlich, deren Fußspuren wir auf gewisse Weise folgen.
“But on you will go
though the weather be foul.
On you will go
though your enemies prowl.
On you will go
though the Hakken-Kraks howl.
Onward up many
a frightening creek,
though your arms may get sore
and your sneakers may leak.
On and on you will hike,
And I know you’ll hike far
and face up to your problems
whatever they are.” 6
Dr Seuss – „Oh the places you’ll go“ read aloud
1 Comment