Der Mann mit der Melodica – Augustus Pablo (1954 – 1999)

Augustus Pablo
Augustus Pablo | Photo Credit: unbekannt / Public Domain

„Wenn Du an bedeutende Reggae-Artists denkst, welche Namen kommen Dir in den Sinn?“

 

„Bob Marley.“

„Weiter?“

„Peter Tosh.“

„Wer noch?“

„Lee Scratch Perry, Bunny Wailer, Lee Perry“

„Okay, gut. Schon mal von Augustus Pablo gehört?“

Augustus wer? Ne, noch nie! Wer ist das?“

So oder so ähnlich würde vermutlich manch ein Dialog zwischen zwei Personen aussehen, wenn es um Augustus Pablo geht. Selbst einem Reggae-affineren Publikum hierzulande, so es nach +/- 1985 geboren wurde, sagt der Name vermutlich zumeist wenig bis nichts. So verständlich das ist, so schade ist es. Denn Pablo, der mit bürgerlichem Namen Horace Swaby hieß, kann ohne Übertreibung als einer der prägendsten und bedeutendsten Reggae-Artists bezeichnet werden. Denn er ist – neben vielen anderen Errungenschaften – entscheidend mitverantwortlich für eines der wichtigsten Dub-Alben aller Zeiten 1. Aber der Reihe nach.

Aquarius Records Halfway Tree

Aquarius Records | Photo Credit: unbekannt / Public Domain

1969 steht der junge Horace Swaby im Aquarius Plattenladen. Mit dabei seine Melodica, ein Instrument, das in etwa den gleichen Ruf genießt wie die Blockflöte: Kinderspielzeug zu sein! Der Legende nach bekam Horace seine erste Melodica von einem nicht genauer bekannten Mädchen überreicht und war fortan selten ohne das kleine Gerät anzutreffen. Wie sich später herausstellen sollte vielleicht eines der glücklichsten Geschenke der Musikgeschichte.

Im Aquarius lernt Horace Herman Chin-Loy kennen, den Bruder des Inhabers Lloyd. Der ist so angetan vom Melodica-Spiel des Teenagers, dass er ihn direkt zu Recording Sessions in sein an den Plattenladen angeschlossenes Aquarius Recording Studio einlädt. Dort entstehen die ersten Aufnahmen und Horace erhält seinen Künstlernamen Augustus Pablo. Interessanter Weise ist er nicht der erste Musiker, der ihn trägt. Zuvor hatte Chin-Loy ihn schon anderen Gastmusikern gegeben, die auf seinen Instrumentals vertreten waren, um ihnen eine gewisse Mystik zu verpassen. Swaby allerdings verleibt sich den Namen ein und trägt ihn fortan. Im Aquarius Studio entsteht 1971 auch die wohl erste Augustus-Pablo-Single Iggy Iggy 2

Über einen anderen Chin, nämlich seinen Schulfreund Clive Chin, gelangt Pablo dann Anfang der 70er ins Studio 17. Dieses gehört, genau wie der bekannte Plattenladen Randy’s (aus dem später VP Records hervorgehen sollte) nämlich Clive’s Familie 3. Dort im Studio 17 nimmt Pablo seinen ersten Hit namens Java auf, mit dem ihm der Durchbruch gelingt. Es folgen etliche weitere wichtige Aufnahmen. Ein paar Impressionen aus dieser Zeit vermitteln diese großartigen Fotos (mehr davon findet der geneigte Betrachter hier):

Randy's Records Kingston, Jamaica

Randy’s Recrods in Kingston | Photo Credit: unbekannt / Public Domain

 

Dennis & Erol Thompson (Telefon), Clive Chin und Augustus Pablo im Studio 17

Dennis & Erol Thompson (Telefon), Clive Chin und Augustus Pablo im Studio 17
Photo Credit: unbekannt / Public Domain

In den folgenden Jahren produziert Pablo für diverse jamaikanische Künstler. Einerseits arbeitet er natürlich mit den absoluten Größen dieser Zeit – z.B. Dillinger, Junior Delgado – andererseits wählt er aber auch immer wieder junge Talente und unbekannte Singer aus, die seine Instrumentals mit ihrem Gesang veredeln sollen. Beispiele hierfür sind Jacob Miller’s Keep On Knocking oder Hugh Mundell’s Debütalbum Africa Must Be Free By 1983, neben vielen anderen.

Charakteristisch für seine Produktionen ist dabei zumeist sein orientalisch angehauchter, moll-dominierter „Far East Style“, den er sowohl auf der Melodica als auch auf diversen anderen Instrumenten wie Keyboards, dem Clavinet oder dem Xylophon umsetzt. Viele der Releases aus dieser Zeit erscheinen auf seinen eigenen Labels Hot Stuff, Message und allen voran das legendäre, nach dem Sound System seines Bruders benannte, Rockers (International) Label.

Aber auch unter eigener Flagge ist Pablo alles andere als untätig. Im Gegenteil. Zwischen 1974 und 1993 sind mindestens 19 Alben in Pablos Namen erschienen. In Worten: Neunzehn. Sein ’74 erschienenes Debut This Is… Augustus Pablo ist, wie fast all seine Solo-Veröffentlichungen ein reines Instrumental-Album mit einem unglaublich atmosphärischen, deepen und spirituellen Vibe 4. Auf seinem zweiten Album Ital Dub (1975) arbeitet er dann erstmals(?) mit King Tubby zusammen, der für den Mix des Albums verantwortlich zeichnet.

King Tubby Photo Credit: unbekannt / Public Domain

King Tubby | Photo Credit: unbekannt / Public Domain

Doch die bekannteste und entscheidendste Kollaboration der beiden Legenden entsteht im Folgejahr. Die Rede ist natürlich von King Tubby Meets Rockers Uptown, das wie bereits eingangs beschrieben von nicht wenigen für eines der Dub-Alben aller Zeiten gehalten wird – wenn nicht gar das beste! Die Schaffenskraft von Pablo wird vielleicht am deutlichsten, wenn man den namensgebenden Track des Albums samt der zugehörigen Historie betrachtet. Grundlage ist das – natürlich von Pablo produzierte – Baby I Love You So von Jacob Miller. Die Instrumental Version, die Cassava Piece tituliert ist, hat bereits ihren ganz eigenen Charme. Was dann aber passiert, wenn Pablo und Tubby an den Reglern den Dub-Mix machen 5 geht getrost als brillant durch.

Als letztes seiner Alben soll noch das 1978 erschienene East Of The River Nile erwähnt werden. Denn es ist das erste Album, auf dem (fast) alle Instrumentals komplett selbst produziert sind, also nicht „bloße“ Dub-Versionen bereits bestehender Instrumentals darstellen. Hand angelegt haben an diesem Roots Classic neben Pablo diverse andere bekannte Namen, z.B.: Lee „Scratch“ Perry und Prince Jammy als Engineers oder abermals King Tubby an den Mixern.

Als dann Mitte der Achtziger Dancehall zunehmend dominanter wird, lässt die Popularität von Pablo zeitweise etwas nach. Dennoch ist er alles andere als untätig und beweist – wie ohnehin konstant in seiner Karriere – Mut zu neuen Wegen und musikalischen Innovationen. So ist er einer der ersten Jamaikaner, der eine Drum Machine nutzt und mit digitalen Technologien experimentiert. Davon zeugt z.B. eine weitere Kollaboration mit Junior Delgado: Raggamuffin Year aus 1986, die in den Dancehalls für amtlich Alarm sorgt.

Leider lässt seine Gesundheit ihn in den folgenden Jahren immer öfter im Stich, weshalb er z.B. auch für einen Künstler seines Formats relativ selten auf Tour geht. Sein letztes Album King Selassie I Calling erscheint 1996. Drei Jahre später verstirbt Augustus Pablo an den Folgen eines Lungenkollaps. Doch er hinterlässt ein großes und wichtiges musikalisches Erbe. In den Jahren nach seinem Ableben erscheinen noch diverse Releases mit bis dato unveröffentlichtem Material, teilweise zurückdatierend bis in die 70er.

Wer sich bei dem kurzen Eingangsdialog selbst wiedererkannt hat – bis vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich selbst dazugezählt – hat nun einen ersten Eindruck vom Schaffen dieses wichtigen Künstlers, der Reggae und insbesondere Dub entscheidend mitprägte 6. Von hier aus könnt Ihr Euch selbst weiter auf Entdeckungsreise machen, und sein Werk erkunden. Es gibt viel zu entdecken!

Augustus Pablo

Augustus Pablo | Photo Credit: unbekannt / Public Domain

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